Carmen ist nicht mehr unter uns. Als Familie starten wir zum ersten Mal ohne sie in eine neue Saison. Doch Carmens Geist – ihre Wärme, ihre Kraft, ihr Lachen – wird weiterleben, auch bei uns im Restaurant. Damit wir sie nicht vergessen, teilen wir hier den Nachruf, den wir an ihrer Trauerfeier hören durften.

Es ist nicht einfach, die richtigen Worte zu finden, wenn ein Mensch wie Carmen gehen muss. Versuchen wir es zusammen, Carmen mit eigenen Erinnerungen und Dankbarkeit zu würdigen.
«Mit Carmen Kalbermatten ist eine Frau voller Tiefgang, Herzlichkeit und mit einem Leben reich an Erlebnissen von uns gegangen.»
Das sind nicht unsere Worte. Das ist eine, von ganz vielen Nachrichten, die in den letzten Tagen über Carmen geschrieben wurden.
Carmen wurde am 11. Oktober 1965 in Törbel geboren, in Gruberswasen, in der Stube des Elternhauses. Die Hebamme Ida wohnte im oberen Stock und praktizierte eigentlich schon nicht mehr. Trotzdem half sie Carmen, als eine der letzten Hausgeburten in Törbel, auf diese Welt zu kommen. Carmens Leben begann mitten in der Familie, mitten im Alltag, mitten im echten Leben – und das passte zu ihr.
In den Kindergarten ging Carmen nicht. 1972 trat sie direkt in die erste Klasse ein. Schon als Kind hatte sie ihren eigenen Kopf und ein feines Gespür für Gerechtigkeit. Einmal hatte sie Ärger mit Pfarrer Jossen. Aus Angst ging sie daraufhin nicht mehr zur Schule und versteckte sich im Dorf. Diese Episode zeigt, wie sensibel Carmen war – aber auch, wie stark ihr Wille sein konnte.
Nach der Sekundarschule in Stalden entschied sich Carmen für das Seminar St. Ursula in Brig. Dort legte sie den Grundstein für ihre Berufung: Sie wollte Kinder begleiten, fördern und ihnen ein Stück Geborgenheit schenken. Diese Aufgabe war für sie nie einfach ein Beruf, sondern eine Herzensangelegenheit.
Ihre erste Stelle führte sie nach Zermatt. Drei Jahre lang arbeitete sie dort als Kindergartenlehrerin und begleitete Kinder aus unterschiedlichsten Ländern, mit verschiedenen Sprachen und Hintergründen. Es war eine Herausforderung, doch mit Geduld und viel Herz fand sie ihren Weg zu jedem einzelnen Kind. Für Carmen war jedes Kind ein einzigartiger Mensch, den es zu verstehen und zu stärken galt.
Nach diesen drei Jahren wagte Carmen einen grossen Schritt und reiste als Au-pair nach Australien. Was als Abenteuer begann, wurde bald turbulent: Sie war illegal vermittelt worden. Eines Tages standen plötzlich Polizei und Fernsehen vor der Haustür ihrer Gastfamilie. Marie-Louise, die Carmen damals begleitete, half ihr schliesslich, eine neue Gastfamilie zu finden.
Als Carmen aus Australien zurückkehrte, war die Freude in der Familie riesig. Diese Freude zeigte sich in einer stürmischen Umarmung: Carmen sprang ihrem Vater Gottlieb so herzlich entgegen, dass er zu Hause in eine Glastür fiel – und sie zerbrach. Heute müssen wir darüber vielleicht schmunzeln. Doch diese Episode beschreibt Carmen wunderbar. Ihre Liebe war nie halbherzig – sie war immer ganz.
Zurück in Törbel arbeitete Carmen als Kindergartenlehrerin im eigenen Dorf. Dort begann auch ihre Liebesgeschichte mit Amadé. Die beiden gingen gemeinsam an ein Guggenmusik-Treffen nach Herbriggen. Auf der Rückfahrt hielt Carmen das Auto am Strassenrand an und fragte:
«Wollen wir nicht künftig das Abendessen teilen?»
Amadé antwortete schlicht: «Ja, warum nicht?»
Mit diesen einfachen Worten begann ihr gemeinsamer Lebensweg.
Als Carmen 30 Jahre alt war, absolvierte sie das Primarlehrerseminar, blieb jedoch weiterhin Kindergartenlehrerin. Die Offenheit, Ehrlichkeit und Neugier der Kinder entsprachen ihrem Wesen. In diese Arbeit steckte sie viel Herzblut. So überrascht es nicht, dass Carmen die erste Lehrperson war, die ein Kind mit Beeinträchtigung in die Regelschule integrierte. Sie war überzeugt davon, dass jedes Kind seinen Platz und seine eigene Stärke hat.
Aus dieser Überzeugung heraus gründete sie die Stiftung Sonne für beeinträchtigte Kinder. Carmen sah, welchen Herausforderungen Familien mit beeinträchtigten Kindern gegenüberstehen. Mit der Stiftung wollte sie ermöglichen, dass diese Familien zur Ruhe kommen, Kraft schöpfen und vielleicht auch einmal Urlaub machen konnten. Carmen hat damit etwas geschaffen, das weit über ihr Leben hinaus nachwirken wird.
Die Liebesgeschichte mit Amadé fand mit der Hochzeit einen besonderen Höhepunkt. Einen klassischen Heiratsantrag gab es nie – er war auch nicht nötig. Amadé träumte von einer Hochzeit in Südafrika und die Elefanten sollten Spalier stehen. Dafür rief er Bischof Karlen an, der sich damals in Afrika aufhielt. Dieser war jedoch gerade in Rom. So kam es, dass Carmen und Amadé am 19. Oktober 1995 im Petersdom heirateten.
Sport gehörte zu Carmens Leben. Sie war Leichtathletin, nahm an Strassenrennen teil und bestieg mit dem SAC St. Niklaus zahlreiche Berge. Von Castor, Pollux, Breithorn und Allalin blickte sie hinab ins Tal. Und wer mit Carmen Skifahren ging, brauchte schnelle Skis. Aus dieser Zeit entstand eine besondere Gemeinschaft: die Strassen-Kratzerinnen. Diese Gruppe trifft sich bis heute regelmässig.
In der Saison 1997/1998 übernahmen Carmen und Amadé gemeinsam das Restaurant Moosalp. „Ds Moos“ wurde zu einem Ort, an dem sich Gäste, Freunde und Familie willkommen fühlten. Carmen prägte diesen Ort mit ihrer Art. Viele Menschen lernten sie hier kennen. Viele verbinden mit der Moosalp besondere Momente – und im Zentrum dieser Erinnerungen steht Carmen.

Einen Ausgleich fand sie im Malen. Mit viel Liebe zum Detail zeichnete sie unterschiedlichste Motive, am liebsten aus der Natur.
1998 wurde Jeremy geboren, drei Jahre später Priscilla. Die Familie stand für Carmen immer im Mittelpunkt. Trotz der gemeinsamen Arbeit im Restaurant war es ihr wichtig, bewusst Zeit als Familie zu verbringen. Gemeinsam reisten sie viel und entdeckten die Welt. Diese Reisen empfand Carmen stets als grosses Glück.
In den letzten Jahren musste sich Carmen zweimal einer schweren Krankheit stellen. Beim zweiten Mal war der Weg zu steil, ihr Körper zu müde. In der Nacht auf Dienstag, den 2. Dezember 2025, musste – durfte – Carmen loslassen.
Die Stationen ihres Lebens haben Carmen geprägt. Doch noch mehr als diese Meilensteine war es ihr Wesen, das so viele Menschen berührt hat. In den letzten Tagen erreichten Amadé, Jeremy, Priscilla und die ganze Familie Nachrichten aus der ganzen Welt. Sie erzählen von Momenten, in denen Carmen zuhörte, zum Lachen brachte oder einfach das Gefühl vermittelte, wichtig zu sein.
Dass wir heute so viele Menschen hier in der Kirche sind, zeigt, wie viele Carmen mit einem besonderen Moment verbinden. Vielleicht denken wir an ein herzliches Gespräch auf der Moosalp, an einen liebevollen Blick im Kindergarten oder an eine gemeinsame Abfahrt auf den Skiern.
Und vielleicht denkt jede und jeder von uns gerade an seinen ganz persönlichen Carmen-Moment.